top of page

Fiktive Schadensabrechnung: Rechte des Geschädigten bei Kürzungen durch Versicherer

  • abg
  • 8. Juli
  • 3 Min. Lesezeit

Die fiktive Abrechnung ist ein bewährtes Mittel für Geschädigte, um nach einem Verkehrsunfall ihren Schaden auf Gutachtenbasis zu regulieren – ohne das Fahrzeug tatsächlich reparieren zu lassen. Dieses Vorgehen spart Zeit, wahrt Flexibilität und sichert im Idealfall den vollständigen Ersatz des Schadens. Doch in der Praxis kürzen Haftpflichtversicherer regelmäßig die geltend gemachten Positionen. Die zentrale Frage: Was darf gekürzt werden – und wo liegt die Grenze zulässiger Schadenminderung?



Gesetzliche Grundlage und Ausgangslage



Die rechtliche Basis bildet § 249 Abs. 2 Satz 1 BGB. Danach darf der Geschädigte den zur Wiederherstellung erforderlichen Geldbetrag verlangen. Er ist also nicht verpflichtet, die Reparatur durchzuführen, sondern kann auf Grundlage eines Sachverständigengutachtens abrechnen. Dieses Vorgehen ist insbesondere dann sinnvoll, wenn das Fahrzeug verkauft wird, ein älteres Auto vorliegt oder der Schaden selbst (etwa durch Austausch einzelner Teile) kostengünstiger behoben wird.


Entscheidend ist jedoch, dass die kalkulierten Reparaturkosten objektiv erforderlich sind – und genau hier setzt die Kürzungspraxis der Versicherungen an.



Kürzungen bei Stundenverrechnungssätzen und UPE-Aufschlägen



Versicherer berufen sich häufig auf sogenannte Prüfberichte von Dienstleistern wie ControlExpert oder DEKRA. Diese führen an, dass bestimmte Stundensätze überhöht seien, es günstigere Referenzbetriebe gebe oder keine markengebundene Werkstatt erforderlich sei. Auch sogenannte UPE-Aufschläge (Zuschläge auf Ersatzteilpreise) oder Verbringungskosten (Fahrten zur Lackiererei) werden regelmäßig gestrichen.


Hier hat sich in der Rechtsprechung eine differenzierte Linie entwickelt: Nach dem BGH-Urteil vom 29.04.2003 (VI ZR 398/02) steht es dem Geschädigten grundsätzlich frei, sich an einer markengebundenen Fachwerkstatt zu orientieren. Kürzungen sind nur zulässig, wenn die Versicherung darlegt und beweist, dass eine tatsächlich gleichwertige, mühelos erreichbare Alternativwerkstatt zur Verfügung steht – ein Nachweis, den viele Versicherer schuldig bleiben.


Insbesondere wenn das Fahrzeug nicht älter als drei Jahre ist oder bislang immer in der Vertragswerkstatt gewartet wurde, ist der Verweis auf eine freie Werkstatt in der Regel unzulässig. Diese sogenannte „dreijährige Markenbindung“ wurde von der Rechtsprechung ausdrücklich anerkannt und schützt den Werterhalt.



Anforderungen an Prüfberichte und deren Relevanz



Immer häufiger legen Versicherer automatisierte Kürzungsberichte vor, die mit dem Hinweis auf niedrigere Stundenverrechnungssätze oder angeblich nicht erforderliche Arbeiten arbeiten. Diese Berichte sind rechtlich nicht bindend. Sie stellen lediglich eine einseitige Einschätzung dar, die ein Gutachten eines vereidigten Sachverständigen in aller Regel nicht erschüttern kann.


Ein pauschales Berufung auf solche Prüfberichte genügt nicht, um die Schadenshöhe in Zweifel zu ziehen. Der Versicherer muss substantiiert vortragen, welche konkrete Werkstatt die günstigeren Preise anbietet, wie weit diese entfernt ist und dass sie qualitativ gleichwertig arbeitet. Ohne diesen Nachweis ist die Kürzung nicht durchsetzbar – selbst wenn der Geschädigte die Reparatur gar nicht durchführt.



Handlungsempfehlung für Geschädigte



Wer sich für eine fiktive Abrechnung entscheidet, sollte Wert auf ein belastbares und möglichst detailliertes Sachverständigengutachten legen. Dieses sollte die Stundensätze regionaler Vertragswerkstätten einbeziehen und Sonderkosten wie UPE-Aufschläge nachvollziehbar darstellen. Bei Kürzungen durch die Versicherung sollte geprüft werden, ob die Voraussetzungen für einen Werkstattverweis tatsächlich erfüllt sind.


In der Praxis zeigt sich, dass viele Kürzungen rechtswidrig sind oder auf nicht überprüfbaren Prüfberichten basieren. Wer sich frühzeitig anwaltlich beraten lässt, vermeidet finanzielle Verluste und sichert den vollen Ersatz seines Schadens.



Fazit: Fiktiv heißt nicht beliebig – Versicherer müssen Grenzen beachten



Die fiktive Abrechnung ist rechtlich anerkannt und bietet dem Geschädigten Flexibilität. Doch gerade bei Kürzungen durch den Versicherer ist Wachsamkeit geboten. Der pauschale Verweis auf günstigere Werkstätten oder das Streichen einzelner Positionen ist nicht ohne Weiteres zulässig. Wer seine Rechte kennt, sichert sich den vollen Ersatz – auch ohne Reparatur.

 
 
 

Aktuelle Beiträge

Alle ansehen

Kommentare


07121 6958882

Ziegelweg 1, 72764 Reutlingen

©2020 verkehrsrecht-reutlingen.info.  Datenschutz

bottom of page